Manon in Dortmund
„Mich hat Puccinis Oper schon lange fasziniert“, erklärt Choreograph Xin Peng Wang. „Im Unterschied zu Massenet führt uns Puccini die
ungeheuere und fragile Sehnsucht von zwei Menschen nacheinander und gleichzeitig die brachialen Gewaltpotentiale der Liebe zwischen dem schwärmerischen Des Grieux und der lebenslustigen Manon vor Augen und Ohren.“
Puccinis Musikdrama verschloss sich bislang jedem choreographischen Zugriff. Gründe dafür liegen vor allem in der geschlossenen, fast
hermetischen musikalischen Anlage des Werkes und in Puccinis Verweigerung, klar umrissene (und somit leicht zu bearbeitende) Arien, Duette und Ensembles zu komponieren. Ihm war es wichtiger, durch eine Überlagerung
von Handlungsebenen und die fließenden Übergänge zwischen den musikalischen Abschnitten und knapp gefassten Szenen die Treibhaus-Situation, in der die Liebenden zum Spielball ihrer eigenen Wünsche und Begierden
werden, und die Atemlosigkeit, in der sie einander und ihrem Glück nachjagen, fühlbar zu machen.
„Wir erzählen unsere eigene Version von Puccinis Oper“, meint Xin Peng Wang, „indem wir die Kernfrage des Stückes klar herausarbeiten:
Wie weit kann sich Liebe verbiegen, um noch Liebe zu sein und nicht zum verzweifelten Versuch der Aufrechterhaltung eines Pseudo-Zustandes zu werden, der ,Liebe’ heißen soll? Es geht uns um die Charaktere der
Protagonisten und darum, mit welchen biographischen Voraussetzungen, welchen irrationalen Erwartungen und welcher psychischen Konstitution Menschen antreten, um miteinander das Fest der Liebe zu feiern.“
Für die Arrangeure und Komponisten Matthias Grimminger und Henning Hagedorn, die in enger Zusammenarbeit mit Xin Peng Wang für das
Theater Dortmund eine Ballett-Version aus Puccinis Vorlage destillierten, ist die Bearbeitung der farbenprächtigen und diffizilen Partitur „eine künstlerische Herausforderung und zugleich eine große Verantwortung.
Wir müssen genau abwägen, wie weit wir bei unserer Version gehen können, in welchen Momenten wir Puccini antasten und seine Komposition als Material ansehen dürfen, und wo er in seiner Musik existenziell und somit
unantastbar wird.“
„In unserer Version“, meint Wang, „verkommt das Fest der Liebe im Rahmen einer zynischen, materialistischen und grausamen Gesellschaft
zur Party, zum bloßen Event, das kurzfristig die Sinne aufreizt, um die wahren Wünsche unerfüllt zu lassen. Es geht auch darum, aufzuzeigen, zu welchen Kompromissen Menschen beriet sind, wenn sie ihr Verlangen nach
zwischenmenschlicher Nähe und Geborgenheit in Einklang bringen wollen mit den Werten der Umwelt…“
Was bleibt von all den Träumen und Hoffnungen, wenn einmal die Liebe aufgebraucht, die Gefühle zu Hohlformen verkommen sind? Auf manche
Antwort muss erst die Frage gefunden werden. Wir erinnern uns. In der Erinnerung sind wir ganz jung. Mit der Erinnerung werden wir alt. Fassungslos blicken wir einander an, dem Irrtum ganz nah. – Wie viel
Notwendigkeit verträgt die Liebe?
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